Treuepflicht eines ausgeschiedenen Gesellschafters

24/02/2023

Im Gesellschaftsrecht ist eine mitgliedschaftliche Treuepflicht als eine Hauptverpflichtung eines Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft allgemein anerkannt. Diese Treuepflicht knüpft dogmatisch daran an, dass ein Gesellschafter während seiner Mitgliedschaft in der Gesellschaft auch ohne ausdrückliche gesellschaftsvertragliche Regelung deren Belangen Vorrang einzuräumen hat.

Die Treuepflicht dauert zwar grundsätzlich nur bis zum Ausscheiden des Gesellschafters, jedoch kommen darüber hinaus auch noch nachwirkende Treuepflichten, vor allem in Form von Unterlassungs- und Loyalitätspflichten, in Betracht. Deren Umfang ist im Einzelnen unklar, denn der ausgeschiedene Gesellschafter unterliegt keinem gesetzlichen nachvertraglichem Wettbewerbsverbot. Allerdings darf der Gesellschafter nicht konkrete Geschäftschancen der GmbH auf sich selbst oder auf Dritte, an denen er beteiligt ist, umleiten.

Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg

In dem zugrundeliegenden Fall war der Beklagte Mitgesellschafter einer Software-GmbH und als Arbeitnehmer auf Grundlage eines Arbeitsvertrags für die GmbH tätig. Nach seinem Ausscheiden (als Gesellschafter und Arbeitnehmer) wandte sich eine Kundin der Gesellschaft an ihn und beauftragte ihn mit einer Beratungsleistung. Der Beklagte übernahm den Auftrag und stellte der Kundin die ursprünglich zwischen der Klägerin und der Kundin vereinbarte Pauschalvergütung in Rechnung. Die GmbH forderte von ihrem ehemaligen Mitgesellschafter Schadensersatz wegen eines umgeleiteten Umsatzgeschäfts.

Die Richter des Oberlandesgerichts Naumburg gaben in ihrem Urteil vom 24.03.2022 der klagenden Gesellschaft Recht und entschieden, dass der GmbH Schadensersatz gegen den ausgeschiedenen Mitgesellschafter wegen zumindest fahrlässiger Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht nach der sog. Geschäftschancenlehre zustehe.

„Ein aus einer Zwei-Personen-GmbH ausgeschiedener Mitgesellschafter verstößt gegen seine nachwirkende mitgliedschaftliche Treuepflicht, wenn er die Projektleitung für eine Softwareentwicklung in agiler Arbeitsweise, welche er für eine Kundin der GmbH innehatte, in seinem neuen beruflichen Wirkungskreis ohne Zustimmung der Gesellschaft fortsetzt.“

Problematisch war in diesem Urteilsfall die Abgrenzung der Geschäftschancen von einem Wettbewerbsverbot – denn ein Wettbewerbsverbot endet grundsätzlich mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft. Beides sind eigenständige Ausprägungen der Treuepflicht.

Das Wettbewerbsverbot umfasst sämtliche Geschäftschancen im Tätigkeitsfeld der Gesellschaft. Das Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft zu nutzen, beschränkt sich hingegen auf geschäftliche Möglichkeiten, die bereits in bestimmter Weise „konkretisiert“ der GmbH zuzurechnen sind. Ohne ausdrückliche vertragliche Regelung unterliegt ein ausgeschiedener Gesellschafter keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot; er hat es jedoch zu unterlassen, konkrete Geschäftschancen der Gesellschaft selbst zu nutzen. Und zwar selbst dann, wenn der Kunde von sich aus auf ihn zukommt.

Anders ist die Lage hingegen, wenn der Kunde mit einem ganz neuen Projekt an einen ausgeschiedenen Gesellschafter herantritt. Dann kann der ausgeschiedene Gesellschafter das Projekt übernehmen, ohne durch eine nachvertragliche Treuepflicht gebunden zu sein.

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